Nachdem ein europäisches Kreuzfahrerheer im Jahr 1099 Jerusalem erobert hatte, genehmigte der Papst sogenannte bewaffnete Wallfahrten auch in andere Teile der damals bekannten Welt. Deutsche Ritter – organisiert zunächst im Schwertbrüderorden, später im Deutschen Orden – besetzten daraufhin ab Anfang des 13. Jahrhunderts das Baltikum und unterwarfen in langen und blutigen Kolonialkriegen die heidnische Urbevölkerung, die gewaltsam christianisiert wurde. Die Stämme der Esten, Liven, Kuren und Letten gerieten in Leibeigenschaft, ihre Siedlungsgebiete wurden urbar gemacht, das Land mit militärischen Festungen überzogen. Nach und nach siedelten sich weitere deutsche Einwanderer an und gründeten deutsche Städte, so dass bis 1346 das Baltikum durch eine dünne Oberschicht weitgehend germanisiert war.
Nur Litauen schlug die Invasion der Kreuzritter zurück und begann seinerseits mit nachhaltigen Eroberungen im schwächer werdenden Tatarenreich. Bei Grünwald (Tannenberg) vernichtete das litauische Reich, das sich zwischenzeitlich mit Polen verbunden hatte, im Jahre 1410 die Armeen des Deutschen Ordens und brach dessen Expansionstrieb und seine Hegemonie auf Dauer. Nach und nach wurde die im Zuge der Reformation untergehende Ordensherrschaft im Baltikum durch litauische Lehnsherren ersetzt, die dann ihrerseits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von den schwedischen Königen vertrieben wurden. Die deutsche Aristokratie schaffte es mit Geschick, durch Bündnisse mit den jeweiligen Siegern sowohl ihren Landbesitz als auch ihre Kultur und Sprache unter den wechselnden territorialen Verhältnissen zu bewahren.
Nach hundert Jahren Herrschaft durch die schwedische Krone setzte sich das russische Zarenreich an deren Stelle. Russland besiegte das Königreich Schweden im Großen Nordischen Krieg, und im folgenden Friedensvertrag von 1721 überließ Schweden die Provinzen Livland (das nordöstliche Lettland) und Estland dem Zaren. Die Grafschaft Kurland (das südliche Lettland) wurde ebenfalls abhängig vom Zarenreich. Die im ganzen Baltikum herrschende deutsche Oberschicht arrangierte sich rasch mit dem neuen Herrn aus Russland und schwor ihm die Treue. Für ihre Loyalität wurden die baltischen Barone nicht nur mit weitreichender Verwaltungs- und Kulturautonomie, sondern auch mit umfangreichen Rechten gegenüber den bisher schon nicht mit Freiheiten gesegneten einheimischen lettischen und estnischen Bauern belohnt, die zum Teil wie Sklaven lebten.
Der Einfluss der Deutschbalten auf das Heilige Russische Reich wuchs immens. Im Krieg gegen Napoleon stellten die Deutschbalten fast ein Viertel des russischen Offizierskorps und dominierten die Kriegsmarine. Am Hof von Petersburg wurde französisch, deutsch und russisch gesprochen – in dieser Reihenfolge. Gehasst vor allem von der kritischen slawophilen Intelligenz, kommen die Deutschbalten in den Romanen von Tolstoi, Dostojewski und Turgenjew schlecht weg. Die Russifizierungskampagnen Ende des 19. Jahrhunderts hatten in Estland und Lettland die paradoxe Folge, dass sich beide Volksgruppen von der kulturellen Hegemonie der deutschen Oberschicht zu lösen begannen. So führte beispielsweise die Konkurrenz zwischen der russisch-orthodoxen und der deutsch-lutheranischen Kirche bei ihren Bemühungen, die Bevölkerung zu missionieren, schließlich dazu, daß immer mehr Texte von seiten der orthodoxen Kirche auf Lettisch und Estnisch veröffentlicht wurden. Bauernbefreiung, der Wegfall von Zunftzwängen und allgemeine Urbanisierungstendenzen im Gefolge der Industrialisierung ließen die vormals nahezu rein deutschen Städte des Baltikums rasch zugunsten der lettischen und estnischen Bevölkerungsanteile wachsen. Waren bis 1870 nahezu alle ins Bürgertum strebenden Esten eingedeutscht worden, kämpften nun die autochthonen Aufsteiger zunehmend um nationale Selbstbestimmung und um das Recht auf die eigene Sprache und Kultur. Estnische und lettische Zeitungen wurden gegründet, und die Widersprüche zwischen den deutschbaltischen, den russischen und den estnisch-lettischen Interessen erhielten immer aggressivere Untertöne.
1905 griffen die sozialen und politischen Proteste in Rußland auf das Baltikum über und kulminierten in teilweise infernalischer Gewalt, die sich vorzugsweise gegen die ehemaligen Eroberer richtete. Zahllose deutschbaltische Landsitze wurden angegriffen, Parks abgeholzt, das Vieh geschlachtet, es herrschte monatelang Anarchie. Zweihundert Schlösser und Gutshöfe wurden niedergebrannt, etwa einhundert Adlige wurden ermordet. Die zaristische Staatsmacht schlug gnadenlos und unverhältnismäßig zurück. Strafexpeditionen zogen durchs Land, exekutierten Tausende. Die gesamte lettische und estnische Sozialdemokratie wurde nach Sibirien verbannt, sofern es ihren Mitgliedern nicht gelang, rechtzeitig zu fliehen und sich in die USA abzusetzen. Viele Aufständische versteckten sich zum Teil noch jahrelang in den dichten Wäldern und Mooren ihrer Heimat. Das Verhalten der deutschbaltischen Herrschaftsschicht, die sich aktiv an der Niederschlagung der Unruhen beteiligt hatte, verschärfte die Verbitterung auf estnischer und lettischer Seite und vergiftete das Verhältnis nachhaltig. Während des Ersten Weltkrieges wuchsen diese schon vorhandenen Spannungen weiter.
Allerdings zerbrach auch das wegen der Russifizierung schon lange gestörte Einvernehmen zwischen der Regierung in St. Petersburg und den Deutschbalten. Sofort nach Ausbruch der Feindseligkeiten im August 1914 wurden aufgrund antideutscher Hysterie zum Teil schwere Repressionen gegen die beargwöhnten Untertanen verhängt, die generell (und nicht immer zu Unrecht) der Sympathie für den Feind verdächtig waren. Zahlreiche Mitglieder der deutschbaltischen Hocharistokratie wurden festgenommen und nach Sibirien verschleppt, obgleich deren Söhne an der Front für Russland fielen.
Nach Ende des Krieges wurden die deutschbaltischen Grundbesitzer, die nicht in den Wirren der bolschewistischen Interimsregierung umgekommen waren, von den neu gegründeten Nationalstaaten Estland und Lettland weitgehend enteignet, verarmten zum Teil dramatisch und spielten keine politische Rolle mehr. Die Herrschaftsverhältnisse hatten sich verkehrt, aus den Unterdrückern waren Unterdrückte geworden. Zahlreiche Deutschbalten wanderten aus. Die letzten 90.000 ihrer Landsleute wurden kurz nach Ausbruch des 2. Weltkrieges im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes, der die baltischen Länder bis 1991 zu einem Teil der Sowjetunion werden ließ, in den deutsch besetzten Teil Polens umgesiedelt. Von dort vertrieb sie 1945 die einmarschierende Rote Armee. Mit dem Verlust des Siedlungszusammenhangs ging die deutschbaltische Kultur endgültig unter. Der Großteil der überlebenden Flüchtlinge ließ sich in allen Teilen Westdeutschlands nieder, viele wanderten nach Kanada und Schweden aus. In Lettland und Estland leben heute nur noch ca. 300 Menschen, die sich selbst als Deutschbalten bezeichnen.